
Shitstorm in Hogwarts
Wie ein Spiel wegen Du-weißt-schon-wer die Trans-Community in Aufruhr versetzt
Hogwarts Legacy heißt das Spiel, das derzeit die Gaming-Welt in Aufruhr versetzt. Es gibt viel Lob fürs Games, aber auch viel Kritik. Was das mit Trans-Menschen zu tun hat, war diese Woche unser Thema in der Casa Casi.
Bevor es losgeht: Ihr findet den Podcast hier oben im Artikel und bei Apple oder Spotify und auf diversen Podcast-Plattformen wie u.a.: Google oder als RSS-Feed.
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Hach, Hogwarts. Viele Millionen Muggel haben dort sehr viel Zeit verbracht – also gedanklich zumindest. Wie viele andere auch hab ich mich seinerzeit von der magischen Welt um Harry Potter in den Bann ziehen lassen. Ich stürzte mich auf die Bücher und bin auch Fan der Filme.
Ja, ich bin auch Fan von ziemlich bescheuerten Instagram-Filtern und übertrieben verarbeitetem Fisch a la Forelle Vierkant!
Hätte ich einen hochgezüchteten Rechner und Zeit genug zum Zocken, wäre ich sicher auch jemand, der sehr nervös auf das Spiel Hogwarts Legacy gewartet hätte. Ich kann also sehr gut nachvollziehen, wenn sich die Potterheads rund um den Globus irrsinnig auf das Spiel gefreut haben in den letzten Jahren.
Accio Shitstorm
Mittlerweile ist es aber nicht mehr möglich, sich ungehemmt auf irgendwelche neuen Spiele, Songs oder Filme zu freuen. Dafür gibt es online einfach zu viele Menschen, die einem da aufs Büffett pinkeln und uns diese Dinge madig machen wollen. So, wie quasi kein großer Release ohne Kritik über die Bühne geht, so ist es auch gerade bei Hogwarts Legacy. Sowohl der Gaming-Journalismus als auch viele Fans/Gamer sind ziemlich aus dem Häuschen vor Begeisterung – aber es gibt eben auch einen fetten Shitstorm, der das Potterverse erschüttert.
In der heutigen Podcast-Folge unterhalten wir uns sehr ausführlich über diesen Shitstorm und ich möchte das nicht alles im Beitrag vorwegnehmen natürlich, aber zumindest müssen wir klären, worum es dabei geht. Der Shitstorm wurde aus den Reihen der Trans-Community entfacht und dreht sich natürlich um die vermeintliche Trans-Feindlichkeit der Harry-Potter-Schöpferin J.K. Rowling.
Dadurch wurde sie in gewissen Kreisen längst “die, deren Name nicht genannt werden darf”. Für Ungemach drohte nicht nur folgender Tweet der Autorin:

Ein bisschen schade finde ich, dass sich die Welt nur auf sie gestürzt hat, weil sie das Bild menstruierende Person = Frau aufmacht. Eigentlich hätte man schon vorher ansetzen müssen und einen Artikel kritisieren können, der augenscheinlich nicht-menstruierenden Frauen das Frausein abspricht.
Seitdem schaukeln sich die Dinge hoch. Rowling haut Sprüche raus, unterstützt ultrakonservative Organisationen, die auch nicht als trans-freundlich bekannt sind – und dementsprechend wächst auch die Kritik an der Schriftstellerin.
Zum Thema findet Ihr unten in den Show Notes ein paar weiterführende Links, die u.a. belegen, dass sich selbst Stars der Potter-Filme wie Daniel Radcliffe von J.K. Rowling abgewandt haben.
Der Shitstorm zum Spiel dreht sich daher genau umdiesen Konflikt zwischen Trans-Menschen und Rowling. Dazu müssen wir wissen, dass die Harry-Potter-Geschichten perfekt dazu geeignet sind, allen Menschen einen Rückzugsort zu bieten, die in irgendeiner Weise das Gefühl haben, auch nicht so richtig dazuzugehören.
Die fantastische Welt des Harry Potter bietet also beides: Ein gewisses “sich verstanden fühlen” und gleichzeitig auch eine Fantasiewelt, in die man sich verkriechen kann, wenn die echte Welt wieder einmal nicht zu ertragen ist. Daher ist die Zerrissenheit für mich auch eine absolut nachvollziehbare, wenn ausgerechnet die Autorin dieser fantastischen Geschichten Trans-Menschen in den Arsch tritt und sie somit dieses wunderbaren Rückzugsortes beraubt.
Wenn nun also ein Produkt erscheint, das in der Harry-Potter-Welt spielt, ruft es automatisch Menschen auf den Plan, die erklären, wieso dieses Produkt zu canceln sei.
Harry Potter = J.K. Rowling = Transfeindlichkeit!
So lautet die knappe Formel, auf die es heruntergebrochen wird. Schon diese Formel halte ich für zu kurz gedacht. Vielleicht ist Rowling im privaten Leben tatsächlich ein Arsch und versteht die Komplexität der Welt schlicht nicht.
Aber manche Ableitungen kann ich nicht ganz nachvollziehen. Ich hab mich echt bemüht, Fakten zu finden, die belegen, wie viel Geld sie in transfeindliche Institutionen investiert und wurde nicht fündig. Da reicht die bloße Freundschaft zu einer Frau aus dieser Organisation nicht aus, meiner Meinung nach.
Ich muss zugeben, dass ich echt zerrissen bin, was ihre Äußerungen zum Trans-Thema angeht. Ist sie tatsächlich transfeindlich? Oder hinkt sie einfach der Zeit hinterher und ist sich ihrer antiquierten Sichtweise nicht vollends bewusst? Der Unterschied ist ein gewaltiger, nämlich der, ob sie bewusst oder unterbewusst Äußerungen tätigt, die als transfeindlich aufgenommen werden können.
Was hat das Spiel mit J. K. Rowling zu tun?
Die Frage, die sich mir auch stellt, ist die, ob wir tatsächlich gut daran tun, alles zu canceln, was möglicherweise kritisch betrachtet werden kann. Oben nannte ich Euch eine knappe Formel, mit der das Harry-Potter-Universum in seiner Gänze mit Transfeindlichkeit gleichgesetzt wird.
Das halte ich aber für nicht zielführend. Konkret auf das Spiel Hogwarts Legacy bezogen bedeutet das, dass aktiv dazu aufgerufen wird, das Spiel nicht zu zocken, weil es eben zum Potter-Universum gehört und dazu beiträgt, dass eine J.K.Rowling noch reicher wird.
Hat sie aber überhaupt mit dem Spiel zu tun, außer dass sie das Universum schuf, in dem es angesiedelt ist? Auch da gehen die Meinungen auseinander. Avalanche, das Entwicklerstudio des Spiels, hat sehr früh erklärt, dass Rowling nicht aktiv an der Entwicklung des Spiels beteiligt wäre. Andere Stimmen sprechen davon, dass zumindest Abstimmungen stattgefunden haben zwischen Avalanche und Personen aus dem Team Rowlings.
Ich möchte euch hier auch nicht ewig damit langweilen, all das nochmal aufzubröseln, was ich im Podcast eh sage, denn im Wesentlichen befinde ich mich in einem Zustand der Verunsicherung. Ist es wirklich alles so klar und drastisch, wie Teile der Trans-Community behaupten? Oder wird da ein Fass aufgemacht, bei dem mit zu viel Schaum vor dem Mund agiert wird?
Vermutlich stimmt zumindest, dass wir Rowling niemals ganz von neuen Produkten aus dem Potter-Universum trennen können. Selbst, wenn sie aktiv nicht beteiligt ist, sorgt jeder Film, jedes Buch und jedes Spiel dafür, dass Leute ans Thema herangeführt werden und dann auch zu den ursprünglichen Büchern oder Filmen greifen – und Rowling das dann auch auf ihrem Konto merkt.
Hier geht der Protest zu weit!
Ich bin also noch in der Entscheidungsfindung und ich würde mich darüber freuen, wenn wir alle uns generell wieder mehr Zeit nehmen würden dafür, verschiedene Positionen abzuklopfen, Fakten zu checken und erst dann zu entscheiden, wie die eigene Meinung zu einem Thema aussieht.
Aber ich muss auch eine klare Trennlinie ziehen.
Wenn jemand wie der YouTuber und Gamer Gronkh gecancelt und mit einem Shitstorm überzogen wird, weil ein Statement – “Darf mir J. K. Rowling egal sein?” – aus dem Kontext gerissen wird.
Wenn Menschen angefeindet werden, weil sie weiterhin Potter-Fans sind und auch das Spiel zocken wollen.
Wenn der Schluss gezogen wird: Jeder, der Hogwarts Legacy spielt, ist transfeindlich.
Das geht für mein Empfinden zu weit und ist weder angemessen, noch der Sache der Trans-Community dienlich. Ich verstehe Menschen, denen diese Potter-Welt viel bedeutet hat, und für die es ein Stich ins Herz ist, wenn sie heute mit dieser Welt konfrontiert werden. Weil das, was man einst liebte, plötzlcih für das steht, was man hasst.
Aber deswegen darf ich nicht die Menschen beschimpfen, die weiterhin in dieser Welt glücklich sind und die dort die Worte der Autorin vom Produkt trennen können. Ich versuche tatsächlich, open-minded zu sein und mir viele Meinungen anzuhören, bevor ich mir eine eigene bilde. Aber für mich funktionieren die Filme nach wie vor bestens und ich fühle mich deswegen wahrlich nicht als transfeindlich.
Fühle ich das falsch? Euer gutes Recht, so zu denken. Aber dann sprecht mit mir, liefert mir Sichtweisen und Argumente, an denen ich wachsen kann, statt mich ebenfalls dafür zu beschimpfen. So sollten wir uns im Jahr 2023 diesen Themen annähern.
Stattdessen werden auf Twitter wahre Flaming-Kriege ausgefochten, werden Hogwarts-Legacy-Fürsprecher nicht nur beschimpft, sondern offen bedroht. Menschen nennen bewusst Rowlings Adresse und fotografieren sich vor ihrem Haus.
Das sind Drohgebärden, die sich nicht gehören – auch nicht für eine marginalisierte Gemeinschaft, die doch eigentlich nichts wünscht außer die gleichen Rechte, die für alle anderen Menschen auch gelten.
Ich schmeiße Euch hier jetzt abschließend noch drei Video-Clips rein. Einmal den Dunklen Parabelritter, der den Shitstorm aus seiner Sicht einordnet, dann Pascal Schewe von heise online, der das Spiel bewusst nicht zocken wird – und als drittes dann Lilischote, die als Betroffene ihre Sicht schildert. Im letzten Video geht es auch konkret darum, wie Trans-Menschen damit umgehen müssen, dass sie aus dieser Harry-Potter-Welt gerissen werden.
Schaut euch diese drei Videos an, klickt auf die Links aus den Show Notes, hört natürlich auch unseren Podcast zum Thema – und dann setzt für euch selbst ein Bild zusammen. Ich finde es immer wichtig, sich möglichst viele Positionen einzuverleiben und dann zu schauen, wo man da steht.
Deswegen ist es mir wichtig, dass ihr nicht einfach nur unsere Podcasts konsumiert, sondern auch reflektiert – und uns auch gerne Feedback zukommen lasst, wenn ihr das Gefühl habt, dass ihr auch unsere Sichtweise noch um weitere Aspekte bereichern könnt.
Einen noch!
Wie immer habe ich am Ende des Beitrags noch ein paar abschließende Gedanken: Unabhängig von allem, was wir hier diskutieren und denken, ist dieser Protest kläglich gescheitert. Das Internet funktioniert nun mal immer gleich, fragt mal nach bei Frau Streisand.
All die Aufmerksamkeit, die die Trans-Community auf einen Missstand lenken wollte, führte lediglich dazu, dass Menschen von “Hogwarts Legacy” erfuhren, die das Spiel gar nicht auf dem Schirm hatten. Egal, ob die Verkaufszahlen oder die Streamingzahlen auf den Videoportalen: Überall geht Hogwarts-Legacy-Content komplett durch die Decke.
Wenn über die Trans-Community gesprochen wird, habe ich das Gefühl, dass dort in den seltensten Fällen über die vielen tatsächlichen Probleme von Trans-Menschen gesprochen wird. Stattdessen wird durch den Shitstorm die Commuity als schrill, aggressiv und übergriffig wahrgenommen.
Das ist nicht zum ersten Mal so, diese Muster wiederholen sich immer wieder. Deswegen zum Schluss noch meine Meinung zu all diesen schwierigen Themen wie Transrechte, Sexismus, Feminismus, Rassismus usw.:
Wenn ihr selbst betroffen seid – weil ihr einer schwarzen, queeren, religiösen oder wie auch immer gearteten Minderheit angehört – dann habt ihr einen ganz anderen Einblick in das Thema. Weil es Teil eurer Lebensrealität ist und ihr viel mehr Wissen dazu angehäuft habt als Menschen, die sich nicht jeden Tag damit auseinandersetzen.
Ich mache meinen Job, ich schlafe und ich esse. Zieht man die drei Dinge ab, bleibt noch ein kläglicher Rest des Tages übrig, den ich füllen kann. Ich schaue gerne Filme und Serien, sehe aber auch sehr viel Nachrichten, Dokus und Reportagen und versuche, mich mit vielen Themen auseinanderzusetzen.
Aber egal, wie gründlich ich das mache: Der Tag wird niemals ausreichen, um mich mit Weltpolitik, mit Kriegen, mit gesellschaftlichen Entwicklungen und mit den Problemen jeder Gruppierung so auseinanderzusetzen, dass ich überall im Bilde bin. Wenn ich aktuell zum Beispiel lieber auf die Ukraine hinweise oder mich mit der Katastrophe in der Türkei und Syrien beschäftige, dann fehlt mir die Zeit vielleicht, um mehr über Feminismus zu lesen zum Beispiel.
Wir haben alle nur diese Zeitkontingente und wir haben Interessen. Wäre ich homosexuell, würde ich mich thematisch natürlich viel mehr damit auseinandersetzen. Wäre ich trans, hätte ich dieses Thema im Vordergrund, logisch.
Aber ich bin als heterosexueller, weißer Mann in der glücklichen Lage, nicht Tag für Tag den Kampf kämpfen zu müssen, den so viele Menschen kämpfen müssen.
Deswegen: Wenn ich nicht auf dem Stand bin, auf dem ihr seid bei einem Problem, liegt das nicht daran, dass ich gegen euch bin, oder dass mich das Thema nicht interessiert. Ich bin einfach mit meinen Erkenntnissen noch nicht an dem Punkt, an dem ihr vielleicht schon lange s eid.
Daher würde ich mir wünschen, dass ihr nicht gleich mit Schaum vor dem Mund auf mich eindrescht, wenn mein Wording nicht passt, wenn ich irgendwelche Fakten nicht kenne, wenn ich Eure Probleme nicht klar genug sehe oder öffentlich anspreche. Es hilft mir nicht und es hilft euch nicht, wenn ihr mich beschimpft oder bedroht. Was hingegen beiden Seiten hilft: Wenn ihr mit mir sprecht, mir Fakten und Hintergründe liefert.
In dem Moment, in dem ihr anfangt, Menschen zu bedrohen, sie zu canceln, sie zu diffamieren, tut ihr exakt das gleiche, wogegen ihr zurecht auf die Barrikaden geht. Wir müssen aus dieser Empörungsspirale herauskommen und das bedeutet, dass wir einander mehr zuhören müssen.
So viel hier zu meinem Wort zum Sonntag. Danke fürs Lesen, danke fürs Zuhören im Podcast und danke für Euren Support hier. Teilt uns gerne, bewertet uns, abonniert uns und ja: Diskutiert mit uns! Wir sind wissbegierig und hören euch zu!
Casa Casi 90: Show Notes
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